Schluss mit Arbeit mit 55 Jahren?

Noch vor zehn Jahren war mit 55 oft Schluss mit Arbeit. Doch wer sich neu bewerben muss, hat nach wie vor Probleme, schreibt Florian Diekmann im «Spiegel».
Schluss mit Arbeit mit 55 Jahren?
Schluss mit Arbeit mit 55 Jahren?

Rente mit 69? Gar mit 70 oder 71? Für viele klingt das zynisch. Schliesslich arbeitet ja sowieso niemand bis zur Altersgrenze (die derzeit bei 65 Jahren und fünf Monaten liegt). Entweder der Beruf ist körperlich zu belastend - Stichwort Dachdecker - oder die Unternehmen entledigen sich ihrer älteren Belegschaft.

Die Altersgrenze noch weiter nach hinten zu verschieben, sei daher nichts anderes als eine versteckte Rentenkürzung. Dieses Argument beruht häufig schlicht auf Lebenserfahrung: Wer heute um die 40 Jahre alt ist, wird es bei seinem Berufseinstieg beinahe als Kuriosum empfunden haben müssen, einem Kollegen jenseits der 60 zu begegnen.

Im Jahr 1995 war von fünf 60- bis 64-Jährigen im Schnitt nur noch knapp einer erwerbstätig. Und bereits ab der Schwelle von 50 Jahren galt damals der Versuch, sich auf einen Arbeitsplatz zu bewerben, als vollkommen aussichtslos. Doch nach einem Jahrzehnt immer neuer Beschäftigungsrekorde stellen sich Fragen: Stimmt das noch? Was wurde aus der Altersarbeitslosigkeit?

Vorweg: Eine eindeutige Antwort gibt es nicht.

Denn im Grunde stehen dahinter zwei getrennte Fragen: Erstens: Wie viele Ältere arbeiten noch? Zweitens: Wie gross sind die Chancen, mit 50plus noch einen Arbeitsplatz zu bekommen?

Die erste Frage lässt sich einfach beantworten: Selbst für über 60-Jährige ist es mittlerweile die Regel, zu arbeiten. Mit 56,2 Prozent sind weit mehr als die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen erwerbstätig. In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Beschäftigungsquote in dieser Altersgruppe nahezu verdreifacht.

Inzwischen liegt sie nicht mehr weit unter dem Durchschnitt aller Altersgruppen. In der nächstjüngeren Altersgruppe, bei den 55- bis 59-Jährigen, liegt sie nun sogar über dem Schnitt.

Arbeiten wird zum Normalfall

Das ist auch Folge einer Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitik, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Seit Mitte der Achtzigerjahre setzte der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) darauf, die hohe Arbeitslosigkeit durch Frühverrentungswellen zu drücken. Das Kalkül: Ältere sollten Platz machen und Jüngeren so den Einstieg in den Job erleichtern.

Von 1984 bis 1988 ermöglichte das Vorruhestandsgesetz schon 58-Jährigen einen relativ komfortablen Ausstieg aus dem Erwerbsleben, rund 160'000 nahmen das Angebot an. Als noch weitaus effektiver erwies sich danach das Altersteilzeitgesetz, das in der Fassung von 1996 Wucht entwickelte.

Mehr als 670'000 Ältere machten 2009 davon Gebrauch. Das war allerdings das letzte Jahr, in dem man noch mit staatlicher Förderung in Altersteilzeit gehen konnte. Seitdem sind die Zahlen stark rückläufig. Ein weiteres Instrument, Ältere aus dem Arbeitsmarkt zu locken, war die sogenannte 58er-Regelung: Arbeitslose ab 58 Jahren mussten sich seit 1985 nicht mehr um einen neuen Job bemühen und erhielten dennoch bis zur Rente Arbeitslosengeld beziehungsweise -hilfe - deren Höhe vom früheren Einkommen abhing und die man noch mit einem Nebenjob aufstocken konnte.

Gerade für frühere Gutverdiener war dieser Regelung ein Anreiz, sich gar nicht erst auf eine reguläre Stelle zu bewerben. Im Jahr 2008 lief die 58er-Regelung aus. Zwar gibt es eine Entsprechung auch für Hartz IV - diese stellt aber für sich kaum einen Anreiz dar, aus dem Arbeitsmarkt auszusteigen.

Diese Entwicklungen schlagen sich auch in der offiziellen Arbeitslosigkeit nieder - wenn auch mit deutlich geringerem Effekt als bei der Beschäftigungsquote. Der Grund: Früher wurden bei Weitem mehr Ältere als heute aus der Statistik herausgerechnet - ihre Arbeitslosigkeit wurde versteckt.

Dennoch lag auch die offizielle Arbeitslosenquote der 50- bis 64-Jährigen bis vor Kurzem meist über dem Durchschnitt. Das hat sich seit 2012 geändert. Seitdem liegt die offizielle Arbeitslosigkeit Älterer unter dem Durchschnitt aller Altersgruppen, und der Abstand nimmt stetig zu.


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